Wir leben noch!

Aktuelles

Zu Beginn dieses Semesters ereignete sich in unserer Generation etwas bislang nie Dagewesenes. Corona. Die Verunsicherung aufgrund der unterschiedlichen Informationen und die Unvorhersehbarkeit, die über uns schwebte wie ein Fallbeil, stiftete Unruhen. Viele gingen nach Hause um bei ihren Familien und Liebsten zu sein. Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht gerade die „Unvorhersehbarkeit der Dinge“, die zu unvorhersehbar wunderschönen Situationen führte.

Hier und da entstanden zwar Personenschäden wie Brandwunden aufgrund von unwillkürlichen Marshmallowattacken am Lagerfeuer, versuchte Strangulation durch die Fremdeinwirkung   garstiger, roher Karotten (weshalb ich an dieser Stelle erneut auf die Gefahr des „Erstickens durch Pfahlwurzelgemüse“ hinweisen möchte. Eine ernstzunehmende Bedrohung, die durch das Anlegen des neuen Gemüsebeets im Vorgarten zusätzlich gewachsen ist) und Prellungen als Resultat von halsbrecherischen Stunts mit Bobbycars und Inlinern. Doch an der Pandemie erkrankte bislang niemand.  „Klopf auf Holz.“

Solidarität zu den Arbeitenden und Erkrankten drückten wir mittels eines Banners im Eingangsbereich des Pauluskollegs und Konzerten auf dem Balkon aus.

Im ehemaligen Herrenbad, das durch ökonomische und gesellschaftliche Wandlungen mittlerweile ein Unisexerlebnisbad ist, öffnete der Friseursalon „Zum Schnittchen“, in welchem durch erstklassige Beratung und technisches Know-How an Haarschneidemaschine und Schere den Bewohner*innen ihre oftmals unbewussten Friseurwünsche erfüllt wurden. Unentgeltlich versteht sich.

Ostern, genau genommen Ostersonntag, verbrachten wir Eier suchend im Garten. Im Anschluss trugen die Bewohner*innen, deren Kreativität und Arbeitsdrang ins Unermessliche reicht, in einer informativen Powerpointkaraoke Präsentationen zu den entsprechenden Feiertagen vor. Ironischerweise ließen wir dabei den Ostersonntag aus.

Indessen lebten wir nicht nur christliche Traditionen aus, sondern begleiteten unsere muslimischen Mitbewohner*innen mit einzelnen Fastentagen durch den Ramadan.

Jogginghosen trugen wir nicht nur um gemeinsam der namensgebenden Sportart zu frönen, sondern sie wurden zum Kleidungsstück der Wahl. Sozusagen zur Quarantäneklamotte. Um in dieser gemütlichen Atmosphäre nicht in Lethargie zu verfallen, begannen die frühen Vögel ihre Tage mit Morgenmeditationen und Sonnengrüßen. Glücklicherweise (vor allem für den Autor des Artikels), gibt es im PK nach wie vor keinen Gruppenzwang, so dass die Tagesroutinen mancher Bewohner, wie auch schon in der PräCorona-Zeit, aneinander vorbei rotierten.

Falls wir doch drohten, von aufkeimender Langeweile erfasst zu werden, bekämpften wir diese mittels Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen rund um und im Haus.

Doch wir bekamen auch mit, wie sich die Welt um uns herum progressiv veränderte. Der oftmals außerordentliche Verkehrsfluss, in welchem PKW und Busse die Fahrradstraße vor unserem Haus regelmäßig zur „Rush Hour“ verstopfen, war regelrecht ausgetrocknet. Auch die Population der Kaninchen und Eichhörnchen nahm zu, was man zur Zeit deutlich an den Kleintierexkrementen im Vorgarten erkennt. Wie die Nagerpopulation nahm auch die Digitalisierung immer weiter zu. Kaum haben die Hochschulen und Universitäten ihren Lehrauftrag wieder aufgenommen und auf Online-Seminare umgestellt, wandelten die übrigen Hausinsassen mit ihren Laptops und Notebooks durch die Flure. Aus den Lautsprechern drangen meist die Stimmen von alternden, am Wunder der Technik verzweifelnden Professoren, die Podcast ähnlich für Hintergrundbeschallung sorgten, während man Wäsche wusch, frühstückte oder in der Hängematte im Garten lag. Selbst die Heimversammlung wurde per Videokonferenz vollzogen und auf das berühmt berüchtigte Gruppenbild am Ende dieser auf herkömmliche Weise verzichtet. „Verzicht“ war innerhalb des deutschsprachigen Raums, in den letzten Monaten ein sehr inflationär verwendetes Wort. Auch im PK verzichteten wir dieses Semester auf einiges. Der Kennenlernabend, diverse Partys und Veranstaltungen konnten aufgrund des Kontaktverbotes und des – in diesem Rahmen niemals einhaltbaren – Sicherheitsabstandes von 1,5 Metern nicht stattfinden. Doch verglichen mit anderen, gegenwärtig leerstehenden WGs und Alleinwohnenden, konnten wir uns hier mit jeweils mindestens 12 Mitbewohner*innen definitiv nicht über Einsamkeit beschweren.